Positionspapier zum Neugeborenenscreening bei M. Pompe
Ursprünglich (Robert Guthrie 19631) sollte das Neugeborenenscreening dazu dienen, die Neugeborenensterblichkeit zu senken, indem bereits präsymptomatische Säuglinge eine Therapie erhalten. Im Laufe der Zeit wurden in verschiedenen Ländern immer mehr Erkrankungen in das Neugeborenenscreening aufgenommen, darunter Morbus Pompe. Grund dafür ist der mitunter schwierige diagnostische Weg, auf dem Fehl- und verspätete Diagnosen auftreten, was den Therapieerfolg reduzieren kann. Der Nutzen des Neugeborenenscreenings bei M. Pompe wurde erstmals im Jahr 2015 in Taiwan nachgewiesen2 und aufgrund jahrelanger Erfahrungen bestätigt3.
Das Neugeborenenscreening in Deutschland hat die vollständige und frühzeitige Erkennung sowie die qualitätsgesicherte Therapie von Neugeborenen mit behandelbaren endokrinen und metabolischen Krankheiten sowie Mukoviszidose zum Ziel. In Deutschland gehört M. Pompe nicht zu den Zielkrankheiten des Neugeborenenscreenings (Stand Juni 2024), der mögliche Nutzen wird aber in Fachkreisen diskutiert.
Die Bewertung des Nutzens des Neugeborenenscreenings bei M. Pompe für den individuellen Patienten ist vor allem deshalb schwierig, weil die Erkrankung ein breites Spektrum an Verlaufsformen aufweist, die im Wesentlichen in eine frühe Verlaufsform (erste Symptome bis Ende des ersten Lebensjahres) und eine späte Verlaufsform (nach dem ersten Lebensjahr auftretende erste Symptome) unterschieden werden können. Während bei der frühen Verlaufsform ein schneller Therapiebeginn wesentlich für den zu erwartenden Therapieerfolg ist, ist bei der späten Verlaufsform keine Eile geboten, zumal die Erkrankung in jedem Lebensalter symptomatisch werden kann und vorher keine Therapie erforderlich ist. Im Neugeborenenscreening werden beide Verlaufsformen erfasst. Der Nutzen des Screenings für die frühe Verlaufsform ist unbestritten, aber bei der späten Verlaufsform stellt sich die Frage, ob und wie der Patient (oder die Eltern des Neugeborenen) über das Ergebnis des Screenings informiert werden sollte.
Vertreter von Pompe Deutschland e.V. wurden bei verschiedenen Anlässen um ihre Einschätzung gefragt; aus diesen Diskussionen und aus Gesprächen mit unseren Mitgliedern entwickelte Pompe Deutschland e.V. folgende
Position zum Neugeborenenscreening bei M. Pompe aus Patienten- und Selbsthilfesicht
Für die frühe Verlaufsform von M. Pompe sehen wir einen Nutzen des Neugeborenenscreenings, weil es dazu beitragen kann, den Behandlungserfolg durch einen früheren Therapiebeginn zu verbessern. Vorher sollte aber wissenschaftlich geklärt werden, ob und in welchem Umfang die andernorts berichteten Erfolge (zum Beispiel Taiwan) im Kontext des deutschen Gesundheitssystems quantifizierbar sind.
Bei der späten Verlaufsform ist die Bewertung des Nutzens nicht eindeutig: Während einige Betroffene mit Diagnose im Erwachsenenalter gern früher informiert gewesen wären, um möglicherweise andere Weichenstellungen in ihrem Leben vorzunehmen, ist anderen Betroffenen ein unbeschwertes Leben ohne das frühe Wissen um eine Pompe-Diagnose wichtiger. Die Bewertung möglicher Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts von Betroffenen, des Rechts auf Nicht-Wissen und eventueller persönlicher Nachteile, zum Beispiel in Versicherungsfragen, konkurriert mit der Verkürzung der vielfach erlebten jahrelangen diagnostischen Odyssee und individuell möglichen Vorteilen aufgrund eines früheren Therapiebeginns.
Eine Entscheidung über die Einführung des Neugeborenenscreening bei M. Pompe kann – den Nachweis der Verbesserung des Therapieerfolgs bei der frühen Verlaufsform vorausgesetzt – aus unserer Sicht erst dann getroffen werden, wenn geklärt ist, ob und wie Treffer der späten Verlaufsform nachverfolgt werden, so dass potentiell alle Betroffenen der späten Verlaufsform sowohl hinsichtlich der Therapieoptionen als auch der persönlichen Lebensgestaltung von dem Screening profitieren.
Verweise
[1] GUTHRIE R, SUSI A. A SIMPLE PHENYLALANINE METHOD FOR DETECTING PHENYLKETONURIA IN LARGE POPULATIONS OF NEWBORN INFANTS. Pediatrics. 1963 Sep;32:338-43. PMID: 14063511.
[2] Chiang SC, Chien YH, Chang KL, Lee NC, Hwu WL. The Timely Needs for Infantile Onset Pompe Disease Newborn Screening-Practice in Taiwan. Int J Neonatal Screen. 2020 Apr 1;6(2):30. doi: 10.3390/ijns6020030. PMID: 33073026; PMCID: PMC7422994.
[3] Chien YH, Hwu WL, Lee NC. Newborn screening: Taiwanese experience. Ann Transl Med. 2019 Jul;7(13):281. doi: 10.21037/atm.2019.05.47. PMID: 31392193; PMCID: PMC6642927.
Verabschiedet in der Vorstandssitzung am 27. Juni 2024
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Foto von Marcin Jozwiak auf Unsplash
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