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Tiffany House: 10 Jahre Enzymersatztherapie

Beim 8. Europäischen Symposium “Steps Forward in Pompe Disease”, organisiert von Sanofi Genzyme, das am 11. und 12. November 2016 in Amsterdam stattfand, wurde eine Sitzung dem Rückblick auf 10 Jahre Enzymersatztherapie gewidmet.

Henk Schuring, Leiter der Abteilung Seltene Neurologische Krankheiten (Sanofi Genzyme), gab einen Rückblick aus Sicht des Unternehmens, Ans van der Ploeg (Erasmus Medische Centrum Rotterdam, NL) aus Ärztesicht, und Tiffany House, Vorstandsvorsitzende der International Pompe Association (IPA), gab einen Einblick aus der Perspektive der Patienten.

Hier die Rede von Tiffany House:

Tiffany HouseVergangenheit, Gegenwart und Zukunft

von Tiffany House (übersetzt von Birgit Wolf)

2016 ist ein spannendes Jahr für die Pompe-Gemeinschaft. Wir begehen den 10. Jahrestag der Zulassung der Enzymersatztherapie durch die Medikamenten-Zulassungsbehörden FDA in den USA der EMA in Europa: das ist ein Meilenstein, den wir feiern wollen. Die Mehrheit der Patienten weltweit hat heute Zugang zur Enzymersatztherapie. Die IPA ist sich wohl der Tatsache bewusst, dass diese Therapie keine Heilung bedeutet und dass ihre Wirksamkeit von Patient zu Patient unterschiedlich ist. Aber wir wissen auch ganz sicher, dass die Enzymersatztherapie ein wichtiger erster Schritt in der Behandlung von Morbus Pompe ist. Der natürliche Verlauf bei Morbus Pompe ist eindeutig: die Patienten entwickeln eine zunehmende Muskelschwäche. Es hat sich nach 10 Jahren Therapie und den davor liegenden 7 Jahren der klinischen Studien auch klar gezeigt, dass die Enzymersatztherapie das Fortschreiten der Erkrankung bei den meisten Patienten verlangsamt oder zum Stillstand bringt.

10 Jahre Enzymersatztherapie sind eine gute Gelegenheit auf das zu schauen, was wir bisher erreicht haben und einen Blick in die Zukunft zu richten auf das, was wir noch erreichen wollen. Ich glaube, dass wir noch weiter als 10 Jahre zurückgehen müssen, wenn wir wirklich verstehen wollen, wo wir heute stehen. Wir sollten einen Moment an die Tage, Monate und Jahre zurückdenken, bevor es die Therapie gab. Es hatte bereits vorher vielversprechende Forschungsansätze gegeben.

Ich wurde im Januar 1995 diagnostiziert. Dürfte ich diejenigen, die 1995 bereits im Bereich Morbus Pompe aktiv waren, um Handzeichen bitten? Erinnern Sie sich noch daran, wie es damals war? Aus Patientensicht war Morbus Pompe eine tödliche Krankheit. Sie war progredient und das einzige was der Patient oder die Familienangehörigen tun konnten, war, die Symptome behandeln. Wir konnten nur versuchen, Zeit zu gewinnen, indem wir uns bemühten, so gesund wie möglich zu bleiben und die Symptome zu behandeln, sobald sie auftraten. Wir konnten eine nicht-invasive oder invasive Beatmung beginnen oder anfangen, einen Stock, Rollator oder Rollstuhl zu benutzen. Wir konnten versuchen, mit den Schmerzen und der Muskelschwäche, die zu einer Konstante im Leben wurde, umzugehen. Aber wir träumten davon, dass es eines Tages eine Therapie geben würde und wir kämpften darum, diesen Tag erleben zu dürfen.

1999 wurde dieser Traum zur Hoffnung, als die klinischen Versuche an der Erasmus Universität begannen, ein Jahr, nachdem sie an der Duke University begonnen hatten. Es zeigte sich schnell, dass diese klinischen Versuche erfolgreich waren: die Babys überlebten. Der Traum von einer Therapie wurde Wirklichkeit. Aber es sollte noch weitere 7 Jahre dauern, bis diese Wirklichkeit auch eintrat. 2006 dann kam die Zulassung durch die EMA und FDA. 2006 war ein unglaubliches Jahr für die Pompe-Patienten. Die meisten Patienten, die nach 2006 diagnostiziert wurden, haben nie mit der Gewissheit gelebt, dass es für Morbus Pompe keine Behandlung gibt. Leider trifft das noch nicht auf alle Patienten zu. Es gibt noch zu viele Länder auf der Welt, in denen die Gesundheitssysteme die Kosten für die Behandlung noch nicht übernehmen und die Patienten dadurch noch keinen Zugang zur Therapie haben. Wir alle wissen, dass das in Neuseeland und China der Fall ist. Aber es gibt auch andere: Schottland, Wales und einige Teilstaaten Kanadas zum Beispiel. Es gibt Länder, in denen die Kostenerstattung regelmäßig auf dem Prüfstand steht, wie beispielsweise hier in den Niederlanden. All das bedeutet, dass wir immer wachsam bleiben müssen und unsere Arbeit weiter fortsetzen müssen, bis jeder Pompe-Patient auf der Welt Zugang zur Therapie hat und nicht mit der Angst leben muss, dass sie ihm wieder weggenommen wird.

Die Kostenerstattung ist nur eine der potenziellen Hürden auf dem Weg zur Enzymersatztherapie. Eine andere ist die Verfügbarkeit des Medikaments. Die IPA hat sich seit den ersten klinischen Studien für eine vorausschauende Vorratsplanung in Bezug auf das Enzym ausgesprochen. Das Leben der Patienten hängt von einer lückenlosen Versorgung ab und daher muss diese gewährleistet sein. Nach Meinung der IPA muss zu jeder Zeit ausreichend Enzym für 6 Monate für alle Patienten verfügbar sein.

Im Jahr 2006 war die Enzymersatztherapie noch neu und aufregend. Heute ist es für viele Patienten ein Teil des Lebens geworden. Und Gewohnheit bringt die Gefahr der Nachlässigkeit mit sich. Das trifft auf Patienten zu – worauf ich gleich näher eingehen möchte – aber auch auf Ärzte, die die Patienten behandeln und Apotheken oder Pfleger, die das Medikament zubereiten. Die Patienten erhalten die Enzymersatztherapie auf viele verschiedene Arten. Manche bekommen sie im Krankenhaus, manche in separaten Ambulanzen, manche zu Hause, manche Kinder sogar in der Schule. Es ist zwar nicht schwierig, das Medikament zuzubereiten, aber es muss mit einer gewissen Sorgfalt geschehen. In den vergangenen Jahren hat IPA immer wieder von Fällen gehört, in denen eine Nachschulung von Apotheken notwendig geworden war. Es gibt verschiedene Faktoren, die eine Nachschulung notwendig machen, wie zum Beispiel neues Personal.  Aber ganz egal, was die Ursache ist: wir sollten wachsam sein und handeln, wenn wir davon hören, dass ein Wiederauffrischungskurs notwendig war.

Im Lauf der letzten 10 Jahre, als die meisten Patienten Zugang zur Therapie bekamen, hat sich auch ihr Fokus verlagert. Heute, wo es nicht mehr hauptsächlich darum geht, lange genug am Leben zu bleiben, um die Therapie noch zu erleben, fragen sich die Patienten: „Was kommt als Nächstes?“ Wir sind alle dankbar für die Therapie. Für die meisten seltenen Erkrankungen gibt es keine. Aber wir sind uns auch darüber im Klaren, dass hier noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Zum Glück hat die Pompe-Gemeinschaft immer weiter nach Wegen gesucht, die Lebensqualität von Pompe-Patienten zu verbessern. Niemand hier im Raum hat die Zulassung der Enzymersatztherapie im Jahr 2006 einfach hingenommen und gesagt „Ok, wir haben es geschafft“. Sie alle hier haben weitergeforscht. Sie haben sich gefragt, wie man die Therapie besser und wirksamer machen kann, wie man Patienten schneller erreichen und schneller diagnostizieren kann, ob Neugeborenen-Screening eine Option ist, wie man den Patienten helfen kann, mit den Symptomen bestmöglich klarzukommen. Im Laufe dieser Konferenz haben wir zu diesen Fragen einige Antworten gehört und wir haben später noch weitere Präsentationen. Das sind aufregende Zeiten für die Pompe-Gemeinschaft.

Aber diese aufregenden Zeiten bringen auch Komplikationen mit sich. Als Vorsitzende der International Pompe Association (IPA)und der Acid Maltase Deficiency Association (AMDA, US-amerikanische Selbsthilfegruppe für Pompe-Patienten) höre ich von vielen Patienten auf der ganzen Welt. Ich höre von ihren täglichen Problemen, ihren Hoffnungen, Träumen und auch Ängsten in Bezug auf ihre Zukunft.

Sie wollen wissen, ob sie sich auf eine Verschlechterung ihrer Gesundheit einstellen müssen, ob sie nachts einen Beatmung brauchen werden, ob sie ihr Badezimmer umbauen müssen oder ihr Haus. Sie fragen sich, was die Zukunft für sie bereithält – jetzt, wo sie eine Zukunft haben. Es ist die Aufgabe der Patientenorganisationen die Patienten dabei zu unterstützen, sich an eine neue Zukunft – an eine, die sie vor 10 Jahren nicht hatten – anzupassen. Und die neuen Therapien und Behandlungen, die am Horizont auftauchen, werden diese Zukunft noch besser machen.

Zusätzlich zu der Einstellung gegenüber der Zukunft, die heute anders ist als vor 10 Jahren, haben wir auch beobachtet, dass diejenigen, die ihre Diagnose vor 2006 erhalten haben, eine andere Einstellung zur Enzymersatztherapie haben, als diejenigen, die nach 2006 diagnostiziert wurden. Wir haben ganz allgemein festgestellt, dass die Patienten, die ihre Diagnose vor 2006 erhalten haben, alles daransetzen, möglichst keine Infusion zu verpassen. Sie haben eine Zeit erlebt, in der es keine Behandlung gab, in der Morbus Pompe eine progrediente kräftezehrende Krankheit war. Auch wenn die Enzymersatztherapie keine Wunderheilung vollbringt, haben die Infusionen für diese Patienten eine hohe Priorität und sie nehmen jede Infusion wahr, da sie auch andere Zeiten erlebt haben.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen die Patienten, die ihre Diagnose nach 2006 erhalten haben. Für diese Patienten war die Therapie immer eine Option. Für sie wurde Morbus Pompe zu einer chronischen Erkrankung und wird nicht mehr als die progrediente Krankheit angesehen, die sie eigentlich ist. Wenn sie die Enzymersatztherapie erhalten, wird bei vielen dieser Patienten der Krankheitsverlauf gestoppt oder umgekehrt. Aber ich glaube, dass dadurch viele von ihnen die Krankheit, die dahinter steht und auch die Rolle, die die Infusion dabei spielt, nicht mehr richtig verstehen. Es kommt immer häufiger vor, dass Infusionen ausgelassen werden oder die Enzymersatztherapie, obwohl klare Symptome für die Krankheit erkennbar sind, nicht begonnen wird.

Das sehe ich als eine der Herausforderungen für uns alle für die kommenden Jahre, der wir uns gemeinsam stellen müssen. Es ist fantastisch, dass wir eine Therapie haben und dass Patienten sich besser fühlen und es ihnen besser geht. Aber wir müssen uns gemeinsam dafür einsetzen, dass die Patienten das nicht als selbstverständlich ansehen. Wir müssen erreichen, dass neu diagnostizierte Patienten die Krankheit wirklich verstehen und sie an unseren Erfahrungen aus der Zeit, in der es noch keine Behandlung gab, teilhaben lassen, mit dem Ziel dass sie das nie erleben müssen.

Darüber hinaus werden Patienten dadurch, dass sie länger leben und relativ stabil sind, ein altersbedingtes Nachlassen von Kraft und körperlicher Fitness erleben, die nichts mit Morbus Pompe zu tun haben. Wie können wir ihnen helfen, den Unterschied zu verstehen? Wie kann man den Unterschied erkennen?

Unsere Realität heute sieht so anders aus als vor 10 Jahren. Heute haben wir eine Therapie und es sind neue Optionen schon in Sichtweite. Heute träumen wir nicht mehr von der Therapie, sondern von einer besseren Therapie, einer Gentherapie, der Regeneration der Muskulatur und was weiß ich noch alles. Wie ich schon vorher gesagt habe, leben wir in einer aufregenden Zeit und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein.

Zum Abschluss möchte ich mich gerne bei den Organisatoren dieser Konferenz für die Einladung heute hier zu Ihnen zu sprechen bedanken. Die drei Redner dieser Session repräsentieren die drei wichtigsten Säulen der Pompe-Gemeinschaft: die Industrie, die Ärzte und Forscher und die Patienten. Jeder hat seine ganz eigene Sicht der Dinge, wie wir heute hier gehört haben – und alle sollten gehört werden. Wir sind dann gemeinsam stark, wenn wir alle zusammenarbeiten. Wir freuen uns im Namen der Pompe-Patienten mit Ihnen allen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zusammenzuarbeiten, um die bestmögliche Zukunft für die Pompe-Patienten zu bereiten. Vielen Dank.

Tiffany House hält ihre Rede auf dem Symposium
Von links nach rechts: Ans van der Ploeg, Benedikt Schoser, Henk Schuring, Tiffany House

Hinweis: Dieser Beitrag dient der Information und nicht der Werbung. Durch die Nennung eines Unternehmens machen wir uns nicht automatisch Produkte, Therapien und Aussagen des Unternehmens zu eigen. Für Fragen der medizinischen Versorgung sollten die behandelnden Ärzte konsultiert werden.

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